Aṅguttara Nikāya

Das Zehner-Buch

94. Die analytische Lehre

Einst weilte der Erhabene bei Campā, am Ufer des Gaggarā-Teiches. Und Vajjiyamāhita, der Hausvater, brach zur Mittagsstunde von Campā auf, um den Erhabenen zu besuchen... (Wie in Text 93 zu ergänzen). Und er begab sich (vorerst) zur Einsiedelei der andersgläubigen Wanderasketen.... Dort angelangt, wechselte er mit jenen Wanderasketen freundlichen Gruß, und nach Austausch freundlicher und höflicher Worte setzte er sich zur Seite nieder. Als er sich gesetzt hatte, sprachen jene Wanderasketen zum Hausvater Vajjiyamāhita also:

„Ist es wirklich wahr, o Hausvater, daß der Asket Gotama jedwede Askese verwirft und jeden Asketen mit rauher Lebensweise rügt und tadelt?“

„Nicht verwirft, ihr Ehrwürdigen, der Erhabene jedwede Askese, und nicht rügt und tadelt er jeden Asketen mit rauher Lebensweise. Vielmehr, was zu tadeln ist, ihr Ehrwürdigen, das tadelt er; was zu loben ist, lobt er. Indem er aber das Tadelnswerte tadelt und das Lobenswerte lobt, lehrt der Erhabene mit Unterschied und ist hierin nicht einseitig in seiner Lehre.“

Auf diese Worte hin sprach einer der andersgläubigen Wanderasketen zu Vajjiyamāhita, dem Hausvater:

„Warte nur, Hausvater! Der Asket Gotama, den du so lobst, ist ein Leugner und Verneiner.“

„Auch darüber, Ehrwürdiger, will ich die Verehrten in sachlicher Weise aufklären. Der Erhabene lehrt, was heilsam ist, und er lehrt, was unheilsam ist. Indem aber der Erhabene das Heilsame und Unheilsame lehrt, verkündet er eine positive Lehre (sa-paññattiko, einer, der (positive) Aussagen macht) und ist kein Leugner und Verneiner.“

Auf diese Worte hin verstummten jene andersgläubigen Wanderasketen; und verlegen, vornüber gebeugt, gesenkten Hauptes vor sich hin brütend saßen sie da, ohne ein Wort zu erwidern.

Als nun der Hausvater Vajjiyamāhita bemerkte, daß die andersgläubigen Wanderasketen stumm dasaßen, verlegen, vornüber geneigt, gesenkten Hauptes vor sich hin brütend, ohne ein Wort zu erwidern, da erhob er sich von seinem Sitze und begab sich zum Erhabenen. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, berichtete er nun dem Erhabenen das ganze Gespräch, das er mit jenen andersgläubigen Wanderasketen geführt hatte.

(Und der Erhabene sprach:) „Recht so, Hausvater, recht so! Auf diese Weise solltest du öfters jene Toren im Einklang mit der Lehre gründlich zurückweisen.

Nicht sage ich, o Hausvater, daß man jedwede Askese ausüben soll; und nicht sage ich, daß man jedwede Askese nicht ausüben soll. Nicht sage ich, o Hausvater, daß man jedwede religiöse Observanz auf sich nehmen soll; und nicht sage ich, daß man jedwede Observanz nicht auf sich nehmen soll. Nicht sage ich, daß man jedwede Anstrengung machen soll; und nicht sage ich, daß man jedwede Anstrengung nicht machen soll. Nicht sage ich, daß man jedwede Selbstentäußerung vollziehen soll; und nicht sage ich, daß man jedwede Selbstentäußerung nicht vollziehen soll. Nicht sage ich, daß man jedwede Befreiung erringen soll; und nicht sage ich, daß man jedwede Befreiung nicht erringen soll.

Jene Askese, o Hausvater, durch deren Ausübung die unheilsamen Dinge in einem zunehmen, die heilsamen Dinge aber schwinden, eine solche Askese, sage ich, soll man nicht ausüben. Jene Askese aber, Hausvater, durch deren Ausübung die unheilsamen Dinge in einem schwinden und die heilsamen Dinge zunehmen, eine solche Askese, sage ich, soll man ausüben. Jene religiöse Observanz—jene Anstrengung—jene Selbstentäußerung—jene Befreiung, o Hausvater, durch deren Erringung die unheilsamen Dinge in einem zunehmen, die heilsamen Dinge aber schwinden, eine solche Befreiung, sage ich, soll man nicht erringen. Jene Befreiung aber, Hausvater, durch deren Erringung die unheilsamen Dinge in einem schwinden und die heilsamen Dinge zunehmen, eine solche Befreiung, sage ich, soll man erringen.“

Und vom Erhabenen durch ein Lehrgespräch unterwiesen, ermutigt und ermuntert, erhob sich der Hausvater Vajjiyamāhita von seinem Sitze, begrüßte den Erhabenen ehrfurchtsvoll, und ihm die Rechte zukehrend, entfernte er sich.

Kurz nachdem nun der Hausvater Vajjiyamāhita gegangen war, wandte sich der Erhabene an die Mönche und sprach:

„Selbst ein Mönch, der für lange Zeit in dieser Lehre und Zucht ein makelloses Leben geführt hat, selbst der würde in gleicher Weise jene andersgläubigen Wanderasketen im Einklang mit der Lehre gründlich zurückgewiesen haben, so wie es der Hausvater Vajjiyamāhita getan hat.“